Innerer-Kritiker

Entdecke deine Weisheitsjahre: vom Ego zur Seele

„Das Älterwerden ist oft von Stereotypen und falschen Vorstellungen geprägt, denn wir betrachten es oft durch die Linse dessen, was wir verlieren und nicht durch die Linse dessen, was wir gewinnen. Was wäre, wenn der Rest deines Lebens der beste Teil deines Lebens wäre?“

Mit diesem Paradigmenwechsel begann Cheryl Richardson [1] (Self-Care Coach und Autorin) ein Interview, das mich sehr angesprochen hat, weil sich einerseits unsere Ansichten über das Alter decken und weil sie andererseits den Weg der persönlichen Entwicklung zu einem „weisen Älteren“ so gut beschreibt.

Deshalb will ich euch in diesem Artikel einige ihrer wichtigsten Aussagen zusammenfassen.

Take Away:

  • Wie du von einem EGO-dominierten Leben zur Entfaltung deiner Seele gelangst

  • Praktische Anregungen für deine Weisheitsjahre

  • Erstell eine Bucket-List deiner Seele

 

Foto Sigrid Umgeher

 

UNSERE WEISHEITSJAHRE

Hast du dir schon einmal überlegt, ob du ein weiser Alter oder eine weise Alte werden willst? Entweder nein, weil es dann mit der Jugendlichkeit vorbei ist oder ja, weil weise Alte etwas Besonderes sind. Wie auch immer, weise werden wir nicht von selbst, also nicht nur durch die Lebensjahre, Erfahrung oder Wissen sondern auch durch aktives Arbeiten an innerem Frieden und Zufriedenheit mit uns selbst.

Wenn wir die Mitte unseres Lebens erreicht haben, ist es Zeit, uns bewusster auf die innere Welt zu konzentrieren. Es geht dabei nicht darum, ein Einsiedler zu werden oder uns von der äußeren Welt zurückzuziehen, sondern es geht darum ein Gleichgewicht herzustellen!

Für Cheryl Richardson beginnen die Weisheitsjahre bereits über 50 als langsamer, stetiger Prozess, als eine Reise, deren Ziel es ist, vom EGO-dominierten Leben zu sich selbst zu kommen und der Seele Raum zu geben.

Es ist so wichtig, das Älterwerden zu unserem Vorteil zu nutzen!

Alleine mit der Einstellung „die beste Zeit liegt noch vor mir“ ändert sich alles! Denn dieses optimistische Bild der Zukunft lässt uns alles was ist und noch kommt positiv gestalten.

Diese folgenden Einstellungen machen unsere Weisheitsjahre aus: [2]

  • Ab der Mitte unseres Lebens müssen wir uns weniger mit dem Körper und mehr mit dem Bewusstsein identifizieren, das ihn belebt. Für mich ein spannender Gedanke, denn für die meisten steht gerade dann der Körper als Maß aller Dinge im Fokus!

  • Wir sollten unsere Lebensweise vom Leistungsanspruch unseres EGOs hin zu unseren Herzenswünschen entwickeln. “As we begin to navigate the wisdom years, we begin to move out of the sphere of achievement and ambition into the sphere of enjoyment and appreciation and opening to the wonder of it all.” (Joseph Campbell)

  • Wir dürfen nicht stehen bleiben! Auch wenn wir viele Dinge gut gemeistert haben (z.B. ein erfolgreiches Berufsleben), sollten wir weitergehen, denn sonst stagniert unsere Energie. Wir brauchen aber die Energie, die durch Neues entsteht. Dieses Neue sollte nicht (nur) dem Verstand folgen, sondern insbesondere unserer Seele.

  • Wenn etwas nicht mehr so geht wie bisher (z.B. ich bin nicht mehr der fitte Sportler von früher ☹️), brauchst du eine „updated Version of yourself“ 🙂, die du primär in deinem Inneren findest.

  • Weisheit hat auch damit zu tun, dass wir erkennen, wie kostbar unsere Zeit und Energie ist und dementsprechend wählerisch sind, wie wir damit umgehen.

Vereinfacht gesagt:

Die Weisheitsjahre sind ein Prozess wo der Verstand (EGO)
und das Herz (SEELE) mehr und mehr in Balance kommen.

Mein Mann und ich haben uns immer wieder gefragt, wo und wie wir die Weichen für unser gemeinsames, schönes Leben jetzt im Alter gestellt haben? Wir hatten einige Ideen dazu, aber durch Cheryl Richardson habe ich zumindest eine Antwort gefunden. Zwischen 50 und 60 haben wir beide umfangreiche energetische Ausbildungen neben dem Beruf gemacht und damit im Grunde einen konsequenten Weg von außen nach innen, also vom EGO zur SEELE, und der damit verbundenen Persönlichkeitsentwicklung, begonnen. Über die vielen Jahre konnten wir diese neuen Lebenseinstellungen auch in den Alltag integrieren. Wenn uns heute etwas zuwiderläuft, z.B. ein Missgeschick, Schmerz oder Sorge, dann erinnern wir uns gegenseitig daran, dem ängstlichen Verstand Einhalt zu gebieten und das zu finden, was uns in dieser Situation weiterbringt.

BEWUSST ÄLTER WERDEN! VOM EGO-LEBEN ZUM SEELENAUSDRUCK

In meinem Post Jour Fixe mit dem Inneren Kernteam bin ich schon auf diese Begriffe eingegangen, möchte sie aber aus dem Blickwinkel der Weisheitsjahre noch weiter beleuchten.

  • Das EGO oder die Persönlichkeit ist das, was im Laufe der Zeit von klein auf geformt wird. Es sind die Glaubenssätze und Rollen, die wir unser ganzes Leben lang aufgenommen haben, z.B. von Eltern, Lehrern, unseren Peers und Freunden, dem Arbeitsumfeld, der Gesellschaft. Es ist unsere Reaktion auf all das, was passierte. Das EGO orientiert sich am Außen, in dem es sich sicher fühlen will und es äußert sich über den Verstand.

  • Die SEELE ist das, was wir wirklich sind, die Essenz, das Bewusstsein, das zum größeren Bewusstsein zurückkehren wird, wenn wir den Körper verlassen. Die Seele ist nicht hier um etwas zu erreichen, zu erobern oder Dinge anzusammeln. Sie ist hier, um das Leben in jedem Moment, der sich vor uns entfaltet, vollständig zu erfahren und die persönlichen Qualitäten zum Ausdruck zu bringen. Sie Seele äußert sich über unser Herz.

Unsere Gesellschaft verehrt überwiegend nur das EGO (den Selbstdarsteller), das im Verstand einen permanenten Verbündeten hat. Das ist in der ersten Lebenshälfte ja auch wichtig, um sich in der Welt positionieren zu können.

Da sich die Seele generell nicht durch äußere Ziele oder Errungenschaften ausdrückt - denn sie ist leise und man spürt sie primär nur in Ruhe und innerer Stille - wird es beim bewussten Altern wichtig, EGO-Gewohnheiten, Überzeugungen und Einstellungen zu hinterfragen.

Es hat einen großen Vorteil sich mit der SEELE einzulassen!
Die Seele kann mit den Veränderungen des Körpers liebevoll umgehen, das EGO nicht! Der Alterungsprozess, die Veränderungen bei Schönheit, Fitness und Status treffen ein ausgeprägtes EGO besonders hart, weil es von Vergleichen lebt und daher schnell abwertend oder destruktiv wird. Das EGO hat Angst vor dem Tod, die SEELE nicht! Das EGO hat eine Anhaftung an die Materie, das Verlangen, dass die äußere Welt auf eine bestimmte Art und Weise so oder so sein soll (oder auch nicht), damit wir uns gut fühlen oder glauben uns gut zu fühlen.

Das Ziel in unseren Weisheitsjahren ist es aber, das EGO langsam zu durchschauen und Teile davon abzulegen, z.B. die Rolle des Überfliegers, des Machers, der Ehrgeizigen, der Pleaserin (allen alles recht machen wollen). Diese verschiedenen Rollen hatten wir früher aus damals gutem Grund angenommen, sie sind aber in den Weisheitsjahren nicht mehr notwendig.

Kennst du den Begriff Bucket List, jene Liste von all den Dingen, die du unbedingt noch sehen, tun oder erleben möchtest, bevor das Leben zu Ende geht (GOGO – SLOWGO – NOGO)? Das ist auch in Ordnung, nur sei dir dabei bewusst, dass das meistens eine reine EGO-Liste ist, die nichts mit dem zu tun hat, was deine Seele erleben möchte. Bronnie Ware, eine australische Krankenschwester, hat über Jahre festgehalten, was Menschen in den letzten Stunden ihres Lebens wirklich bereuen und darüber ein Buch geschrieben. [3] Das waren allerdings keine Dinge, die man üblicherweise auf einer Bucket List findet, sondern diese 5 Themen [4]

  1. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben.

  2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.

  3. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.

  4. Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.

  5. Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.

Also mach, am besten in Meditationen, nach und nach eine Bucket List deiner Seele! Was will sie erleben, in welchen Momenten fühlt sie sich so richtig lebendig? Und denk daran, dass das oft scheinbare nur kleine Momente sind, aber du merkst, dass dir dabei das Herz aufgeht.

WIR HABEN NOCH NIE DAGEWESENE CHANCEN

Unsere Eltern und die Generationen vor uns hatten die Möglichkeiten noch nicht, sich mit solchen Gedanken auseinanderzusetzen. Sie hatten ganz andere Voraussetzungen und Herausforderungen als wir heute. In ihrem Leben gab es die Idee von persönlichem Wachstum und Selbstreflexion noch nicht. Ihre Zeit war geprägt von harter Arbeit, sich zusammenreißen, durchsetzen, das tun, was einem angeschafft wurde, oft sogar auch von echtem Überlebenskampf etc. Es gab dabei viele traumatische Erlebnisse, die nie aufgearbeitet wurden. Damals haben die Eltern überwiegend auch bestimmt, was die Kinder beruflich werden sollen und nicht, was die Kinder wollten. Wenn einige von ihnen daher gegen Ende ihres Lebens verbittert wurden oder wütend oder sich durch Demenz verabschiedet haben, ist das mehr als verständlich. Ihre Seele hatte nie die Chance, ihre Qualitäten zu erfahren!

Aber wir haben heute die Chance! Es gibt viele Möglichkeiten, Methoden und Hilfen und vor allem das Verständnis, um mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich authentisch zu entwickeln – bis zum letzten Tag des Lebens.

Ich persönlich will diese Chance in jedem Fall nützen! Ich will, dass viele Menschen es genießen, mit mir zusammen zu sein, egal ob ich 70, 80, 90 oder älter bin, weil für mich meine innere Entwicklung immer Priorität hat und haben wird.

PRAKTISCHE ANREGUNGEN FÜR DEINE WEISHEITSJAHRE

  • Meditation – Gespräche mit deiner Seele, deinem Herzen.
    Gewöhn dir eine tägliche Praxis an, z.B. 10 Minuten bewusste Stille in deinem Leben zu erzeugen. Ohne Musik, ohne besondere Absicht, einfach nur hinsetzen. Schließ die Augen und richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem und lass ihn langsamer und tiefer werden. Wenn Gedanken kommen, lass sie los und komm wieder zum Atem zurück. Du kannst deinen Atem auch auf die Herzgegend richten (Herzatmung). Ich habe viel Meditationspraxis hinter mir, aber es war diese tägliche und einfache Routine, die mir so viel innere Ruhe geschenkt und einen intensiveren Kontakt zu meiner Seele ermöglicht hat.

  • EGO-Self-Awareness: Halte mehrmals am Tag inne und frag dich, Warum mach ich das jetzt? Was mach ich da eigentlich? Komm dir selbst auf die Schliche und vor allem, glaub deinem Verstand nicht alles!

  • Sei nett zu dir selbst – entwickle dich vom inneren Kritiker zum inneren Freund
    Ich hab´ schon mehrmals darüber geschrieben, aber es ist und bleibt einer der Schlüsselpunkte für ein gutes Leben: Die Art und Weise, wie wir mit uns selbst sprechen, beeinflusst uns und gerade das EGO ist dabei zumeist nicht zimperlich. (z.B. „Jetzt wirst du echt langsam und umständlich!” - “Du bist so ein alter Depp!“). Gewöhn dir daher ein paar Sätze an, mit denen du den inneren Kritiker in die Schranken weisen kannst.  Wenn ich z.B. etwas gemacht habe, das echt daneben ging und das EGO sagt „Wie dumm war das jetzt!“, dann sag ich mir „Helga, du bist OK so, wie du bist. Das war grade eben nur ein Hoppala! Du hast schon so viel erlebt und gut überstanden, also mach dich nicht fertig! Nimm lieber einen tiefen Atemzug, gönn dir eine Pause und dann mach einfach weiter!

  • Du musst schwierige Situationen nicht alleine durchstehen! Gönn dir Hilfe z.B. durch einen Coach oder Therapeuten und denk daran, dass du mit dieser Persönlichkeitsentwicklung danach ein gutes Stück weiser bist.  

Herzlichst
Helga

[1]  Cheryl Richardson: Redefining Aging: Making the Rest of Your Life the Best of Your Life; Tapping World Summit 2024
https://www.thetappingsolution.com/blog/tapping-world-summit-2024/

[2] Cheryl Richardson: Selfcare for the Wisdom Years
https://cherylrichardson.com/books/self-care-for-the-wisdom-years/

[3] Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden  Goldmann (2015)

[4] Helga Pražak: WAS MACHST DU JETZT Vom Vergnügen in der Pension und der Verantwortung für ein vitales und glückliches Alter. Buchschmiede (2019)

Der Selbstliebe mehr Raum geben

Sich selbst zu lieben kennt kein Alter! Doch jetzt im Alter zeigt sich mehr und mehr, ob und wie man Selbstliebe empfindet. Kann man mit den Veränderungen gelassen umgehen oder wird man mehr und mehr verbittert?

Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass es gar nicht notwendig ist Selbstliebe zu lernen, da sie sowieso unser innerster Kern ist. Wir müssen ihr nur mehr Raum geben, indem wir sukzessive all das wegräumen, was sie zudeckt. Dazu zählen insbesondere kritische und abwertende Selbstgespräche, Wenn-Dann-Prägungen und dauernde, wertende Vergleiche. Darum geht’s heute – wie immer: um strahlend alt zu werden!

Take away:

  • Selbstliebe müssen wir nicht lernen, sie ist in uns immer da

  • Es liegt an uns, ihr mehr und mehr Raum zu geben

  • Der innere Kritiker muss in die Schranken gewiesen werden, denn er überschreitet oft seine Grenzen

 

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SELBSTLIEBE IST MEHR ALS SICH VERWÖHNEN

Wie merkst du, dass du Selbstliebe empfindest? Woran erkennst du das? Wie fühlt sich für dich Selbstliebe an?

Oft höre ich, dass Selbstliebe gleichgesetzt wird mit „sich etwas Gutes tun“ oder gut zu sich selber zu sein (z.B. eine Massage oder ein Wellnesswochenende). Andere wieder meinen, dass es darum geht, sich der eigenen Stärken bewusst zu sein. Aber die Definition von Selbstliebe beinhaltet viel mehr: es geht um die Selbstannahme mit allen Stärken und Schwächen in Form uneingeschränkten Liebe. Und das kann eine Herausforderung sein!

Es ist schön, sich seiner Stärken bewusst zu sein (z.B. Wissen zu haben, das gebraucht wird; sportlich zu sein), wenn daneben allerdings der innere Kritiker uns abwertet (z.B. ich werde aber immer dicker, langsamer,...), dann ist die Selbstliebe nicht uneingeschränkt.

Nach meinen Erfahrungen aus den 20 Jahren, in denen ich mich mit Energetik befasst habe, ist Selbstliebe nicht etwas, was wir lernen oder was wir uns aneignen müssen. Selbstliebe, so wie ich es sehe, ist immer da! Sie ist vielmehr unsere innerste Kraft und das, was uns ausmacht.

Wir sind im Kern Selbstliebe!

DER SELBSTLIEBE RAUM GEBEN

Wie sehr wir sie spüren, uns darüber bewusst sind oder nicht, liegt an unseren verschiedenen Prägungen und Eigenschaften, mit denen sie überdeckt, verdrängt oder unterdrückt wurde. Die Einschränkungen stammen entweder aus der Kindheit, wurden epigenetisch von den Ahnen übernommen oder die Seele hat sie aus einem Vorleben mitgebracht. Manche nennen das Karma. Es sind negative Gedanken, Glaubenssätze und Emotionen über uns selbst und unseren Körper.

Den strahlenden Kern von Selbstliebe müssen wir nicht lernen, aber wir können ihm mehr Raum geben, indem wir nach und nach diese Einschränkungen auflösen.

Darin sehe ich auch eine wichtige Aufgabe im Alter, denn genau das macht den Unterschied zwischen einem liebenden oder einem verbitterten Senior oder einer Seniorin. Mit jedem noch so kleinen Schritt merkt man, wie sich die Selbstliebe ausdehnt und für innere Ruhe und Frieden sorgt.

WAS STEHT DER SELBSTLIEBE IM WEGE?

Nach Barbara Fredrickson (Professorin für positive Psychologie), sind es die Selbstherabsetzung und die Selbstverherrlichung, die der Selbstliebe im Wege stehen. [1]

Durch die Selbstherabsetzung glauben wir nicht, dass wir es wert sind, geliebt oder akzeptiert zu werden. Sie meint „auf einer unausgesprochenen Ebene tun wir unsere guten Eigenschaften als unwichtig ab und bleiben unseren Unzulänglichkeiten verhaftet. Vielleicht glauben wir, unsere Defizite erst ausmerzen zu müssen, bevor wir uns selbst vollkommen lieben und akzeptieren zu können: „wäre ich doch nur dünner, sportlicher, disziplinierter, organisierter, erfolgreicher...“, doch dabei bleibt es meistens. Wir warten ab, ohne wirklich etwas zu verändern und entziehen uns die Liebe, bis diese unausgesprochenen Bedingungen erfüllt sind. Aber das Warten endet nie und ebenso wenig fließt die Selbstliebe.“

Unter all den Abwertungen spielen Schuld und Scham die größte Rolle. Schuld ist ein Gefühl, das seit Jahrhunderten, besonders im religiösen Kontext, in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt und wir alle von klein auf mitbekommen haben. Das Gefühl von Schuld hält einen in Bann und verhindert jegliche persönliche Weiterentwicklung. Damit kann das jeweilige Ereignis nicht aufgelöst werden und Selbstliebe kann nicht fließen. Scham ist in gewisser Weise noch perfider, weil sie die persönliche Würde und den Selbstwert untergräbt und generell als die Emotion mit der geringsten Energie gilt. Es ist daher schwer, aus eigener Kraft der Scham zu entkommen. Ich habe den Eindruck, dass speziell Scham im höheren Alter eine zunehmende Rolle spielt, wenn der Körper nicht mehr der Würde entspricht, die wir als Kind gelernt und so intensiv damit verbunden haben. Mit dieser Scham wird die Selbstliebe zugedeckt.

Ebenfalls abwertend sind „Wenn-dann“-Bedingungen. Als wir klein waren, war es noch üblich zu hören „Wenn du brav bist, dann hat dich die Mama/der Papa/die Oma ...  lieb!“ oder so ähnlich. Dieses schreckliche „Wenn–dann!“ Es steckt in so vielen von uns noch tief drinnen! Aber es ist schlicht und einfach falsch und erniedrigend! Wirkliche Liebe kennt keine Bedingungen! Auch die Selbstliebe nicht!

Interessanter Weise steht auch die Selbstverherrlichung der Selbstliebe im Wege, obwohl sie vorgibt, genau diese zu sein. Eine überhöhte Sichtweise von sich selbst oder eine besonders hohe Selbsteinschätzung muss sich permanent durch positives Feedback bestätigen und ist daher alles andere als Liebe.

Selbstliebe kennt keine wertenden Vergleiche und erzeugt dadurch innere Ruhe. Also tun wir etwas für die Selbstliebe!

In meinen Posts Let´s Celebrate und „feiere deinen Körper“ findet ihr schon einige Anregungen, wie und warum wir gerade im Alter unseren Geburtstag und unseren Körper feiern sollten. Jetzt zeige ich euch noch drei weitere Möglichkeiten, wie man der Selbstliebe zu mehr Raum verhelfen kann.

ICH BIN GUT!

Wir Senioren haben das alles hinter uns: bei Prüfungen bestehen müssen, sich im Job beweisen müssen, schneller, besser, kompetenter sein, sich gut darstellen, um einen speziellen Job zu bekommen, eine gute Mutter/Vater sein ... etc. Irgendwie waren diese Anforderungen und Vergleiche zumindest seit der Schule und dann im Job in gewisser Weise immer anwesend.

Jetzt, in der Pension, fallen viele dieser Bestätigungsmuster weg. Wir müssen und brauchen uns, Gott sei Dank, nichts mehr beweisen! Im Grunde gibt es nur mehr eine Instanz, die zufrieden sein muss, ICH! (mein inneres Kernteam), und zwar ohne irgendeinem Vergleich mit anderen standhalten zu müssen!

Mit der Aussage „Ich bin gut“ geht es keineswegs um die oben zitierte Selbstverherrlichung, sondern nur darum, mir bewusst zu sein, dass ich mit mir, meinen Aktivitäten, meinen Gedanken und meiner Leistung, vor allem aber mit meinem Sein in meinem tiefsten Inneren glücklich bin.

Gestern hatte ich so einen Moment. In einem Gespräch mit meiner Schwester haben wir uns aus heiterem Himmel gegenseitig erzählt, worauf wir gerade stolz sind. Es ging überhaupt nicht darum, den anderen zu Begeisterungskommentaren zu bewegen sondern einfach einmal laut auszusprechen, dass ich auf etwas stolz bin, das ich jetzt mache. Ich mach das gut! Ich bin gut!  Und die andere hörte ohne Kommentar voll Freude und Mitgefühl zu. Das war cool! Probiert das einmal aus!

VETO GEGEN DEN INNEREN KRITIKER

Leider ist da oft noch die andere Stimme in mir, die viel weniger freundlich ist. Vor kurzem war ich beim Ausfüllen eines Online-Formulars wieder einmal richtig wütend auf die Technik und auf mich! Es war alles stressig und hektisch und nichts hat funktioniert, schließlich habe ich auch noch Zahlendreher eingebaut. Sofort meldete sich in meinem Kopf der ungebetene, innere Kritiker: „Ich hasse diese Online-Formulare! Gott, bis du dumm! Bei dem ganzen elektronischen Kram kommst du nicht mehr mit! Kannst du nicht besser aufpassen? Immer wieder passiert dir das!“ Ihr könnt euch vorstellen, das hilft kein bisschen in so einer Situation.

Ich habe den Eindruck, dass der innere Kritiker auch keinen Respekt vor dem Alter hat! Ganz im Gegenteil, er wird lauter und frecher. Als ich einmal den Faden nicht sofort in das Nadelöhr brachte, meinte er herablassend „Du bist immer so patschert! [2] Und jetzt sind deine Arme nicht einmal mehr lang genug für deine Augen!“  Oder, vor Kurzem habe ich einen eleganten, gepflegten Herrn in einem Selbstgespräch zu sich sagen gehört „Ich bin so ein alter Trottel!“

Wir kennen so viele Möglichkeiten um uns innerlich zu kritisieren, manchmal auch zu beschimpfen und runterzumachen und uns selbst weh zu tun. Nie würden wir so verletzend zu anderen sein, schon gar nicht, wenn wir sie lieben. Ich bin mir sicher, diese Form von Selbstkritik und Selbstabwertung ist nur deshalb so einfach, weil niemand zurückredet oder dagegen argumentiert. Daher sind wir verleitet, manchmal sogar noch nachzulegen!

Manchmal ist es gut, den Ärger auszusprechen und damit die überschüssige Energie loszulassen, aber wenn es die innere Würde angreift, halt dich zurück! Lass das nicht unkommentiert stehen! Widersprich dir! Argumentiere dagegen! Dazu kannst du die Position deines Inneren Coaches, einnehmen. Du brauchst dir nur die eine Frage zu stellen: „Kann ich zu 100% und unter allen Umständen sicher sein, dass das so wahr ist?“  Die Antwort ist praktisch immer nein! Vielleicht bin ich in dieser einen Situation „patschert“, ja, aber das gibt mir nicht das Recht, so ein allgemeines, abwertendes Statement mit „Ich bin“ abzugeben. Denn erstens gibt es unzählige  Situationen, in denen ich es nicht bin und zweitens richten sich „Ich bin“-Sätze immer an die ganze Persönlichkeit und gehen daher sehr tief. D.h. abwertende „Ich bin“-Sätze verletzen die eigene Würde. Also sprich diese eine Situation konkret an und nicht deine „Ich bin“-Identität! Statt: „Ich bin immer so patschert“ einfach „In dieser Situation war ich patschert!“

Leg die Strenge in deinen Selbstgesprächen ab, wobei es nicht darum geht, alles positiv zu sehen und schön zu reden. Es geht um einen mitfühlenden, aufrichtigen inneren Dialog wann immer du Gefahr läufst, dich selbst abzuwerten, also wenn der innere Kritiker laut wird.

Akzeptiere was gerade schiefgelaufen ist und switche sofort zu einem bedingungslosen JA! zu dir selbst. Genau das ist auch die Einstiegspraxis beim Tapping. Der Einstiegssatz lautet: Auch wenn ...(zitiere das Problem)... liebe und akzeptiere ich mich voll und ganz! Denn genau wie bei einem Kind mache ich die Liebe nicht davon abhängig, ob es brav seine Aufgaben macht oder nicht. Selbstliebe heißt Akzeptanz, und zwar bedingungslos!

SO TRAINIERST DU MITGEFÜHL

Wenn du deiner inneren Stimme mehr Mitgefühl verleihen willst, dann empfehle ich dir die sogenannte META Meditation (Liebende-Güte-Meditation) [3].

Entspanne dich durch meditative Atemtechniken, denke dann an eine deiner guten Eigenschaften und an ein erfreuliches Ereignis, das dazu passt. Das erste, was dir einfällt ist richtig. Dann sprich innerlich die folgenden Sätze langsam aus und mach nach jedem Satz eine Pause, um dieses Statement richtig zu verinnerlichen.

  • Möge ich mich sicher und beschützt fühlen.

  • Möge ich mich glücklich und voll Frieden fühlen.

  • Möge ich mich gesund und stark fühlen.

  • Möge ich Leichtigkeit empfinden und mich wohlfühlen.

Du kannst diese Sätze natürlich so variieren, dass sie genau zu dir passen!

Die Studien von Barbara Fredrickson haben gezeigt, „dass eine mitfühlende Liebe für sich selbst sowohl für die Gesundheit als auch für das Glück wichtiger ist, als das hochgelobte Selbstwertgefühl!“

SELBSTLIEBE BRAUCHT ZEIT UND GEDULD

Vermutlich das Schwierigste ist es, mit sich selbst Geduld zu haben! Selbstliebe ist nicht etwas, was man „mal so schnell“ lernen kann. Wir entwickeln sie ein Leben lang.

 

Selbstliebe wächst mit
Geduld, Nachsicht, Freundlichkeit, Vergebung
und einem inneren Lächeln,

 

Diese Gedanken wollte ich mit Euch teilen.

Herzlichst
Helga

[1] Barbara Fredrickson: Die Macht der Liebe. Ein neuer Blick auf das größte Gefühl, campus 2013

[2] Österreichisch für ungeschickt.

[3] Volle Anleitung z.B. im Buch „Die Macht der Liebe“