Autobiographie

The Soundtrack of my Life

Habt Ihr vor Kurzem, anlässlich des Kronjubiläums der Königin von England, The Queen´s Platinum Jubilee Concert gesehen? [1] Was für eine großartige Show mit einem Musik-Medley aus 7 Jahrzehnten für eine 96 jährige Lady! Ich habe mich teilweise ganz in meine Teenagerjahre zurückversetzt gefühlt! Die Zeit, als ich zum Sprachenlernen nach England geschickt wurde und die Beatles ihre größten Hits feierten, ist plötzlich wieder ganz klar aufgetaucht und hat mir unendlich Spaß gemacht.

Dieses Erlebnis möchte ich zum Anlass nehmen, um mit Euch eine Reise in unsere musikalische Biographie zu machen und den „Soundtrack of my life“ vor den zu Vorhang holen. Denn jede und jeder von uns hat zahllose Musikstücke im Kopf, die uns mit emotionalen Erinnerungen verbinden. Musik berührt uns, erfüllt uns mit Emotionen und beamt uns zurück in die wichtigsten Erlebnisse unseres Lebens. Aber Musik kann uns auch erden, beleben und heilend wirken. Sie unterstützt uns z.B. beim Verarbeiten von Trauer oder lässt uns Freude und Spaß ausleben. Damit ist Musik eine wichtige und - fast möchte ich sagen - unerlässliche Zutat, um strahlend alt zu werden.

Take away

  • Unser musikalisches Gedächtnis basiert auf Emotionen und ist autobiographisch.

  • Leg Dir verschiedene Playlists auf deinem Smartphone an, denn Musk ist heilsam.

  • Mach zu Hause zwischendurch Party!

 

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WIR HABEN EINE MUSIKALISCHE BIOGRAPHIE

Ich stelle dir ein paar Fragen und wenn Du sie beantworten möchtest, denk nicht lange nach, sondern nimm das erste, was dir dazu einfällt. Später kannst du ergänzen soviel du willst.

  • Welcher Song, welches Musikstück fällt dir als erstes ein, wenn Du an deine Teenagerjahre denkst?

  • Welche Musik habt ihr zu Hause gehört?

  • Welche Stücke verbindest du mit besonderen Momenten?

  • Welcher Lovesong, geht Dir besonders unter die Haut?  

  • Welche Musik verbindest Du mit einem besonderen Menschen? „Schatz, sie spielen unseren Song“ :)

  • Welche Musik erinnert dich an deinen schönsten Urlaub?

  • Welche Musk macht dir Mut?

  • Welche Filmmusik hat Dich bewegt?

  • Bei welchem Stück kannst du einfach nicht sitzen bleiben?

  • Welche Musik kurbelt bei dir die gute Laune an?

Wenn Du möchtest, suche dir jetzt gleich einen Titel aus, den Du dir anhörst, während Du hier weiterliest.

Hier sind noch drei andere Fragen, für die Du vielleicht etwas mehr Zeit brauchst

  • Hast Du eine Playliste mit deinen Lieblingssongs, sodass Du jederzeit unterschiedliche Stimmungen abrufen kannst?

  • Wenn Du eine musikalische Biographie erstellen wolltest und für jedes Jahrzehnt ein Musikstück auswählst, wie würde diese Biographie aussehen? Und welche Geschichten deines Lebens erzählen diese Lieder?

  • Welche Musik, welcher Song, soll zu deiner Beerdigung gespielt werden? Ja, das ist vielleicht eine ungewöhnliche Frage. Aber dahinter steht die Idee Dir zu überlegen, welche Schwingung Du hinterlassen möchtest? Welche Schwingung macht dich aus? Welches Musikstück drückt dich am besten aus? Hast Du schon einmal darüber nachgedacht?

Musik begleitet uns das ganze Leben lang, unabhängig davon ob wir sie aktiv machen oder passiv aufnehmen. In uns ist eine Sammlung von tausenden Musikstücken gespeichert, die jederzeit abrufbar sind. Oft braucht es nur ein paar Töne, eine halbe Sekunde vielleicht, und schon ist es da, dieses unverwechselbare Gefühl, diese Erinnerung an die Situation, der Impuls zu tanzen oder dahin zu schmelzen. Während Memoiren mehr eine intellektuelle, bewusste Auseinandersetzung mit uns selber sind, verkörpert Musik die emotionale Dimension mit seinen praktisch unauslöschlichen Erinnerungen.

MUSIK IST IDENTITÄT UND ENTHÄLT AUTOBIOGRAPHISCHE ERINNERUNGEN

Was prägt unsere persönliche Musikvorliebe? Der Datenanalyst Seth Stephens-Davidowitz [2] hat tausende Spotify Zugriffe analysiert und fand, dass wir unseren Musikgeschmack im Teenageralter prägen: Mädchen zwischen 11 und 14, Burschen zwischen 13 und 16. Offensichtlich ist in dieser Zeit das Musikerleben so emotional und das Verlangen über Musik die eigene Identität zu finden so stark, dass diese Musik stärker verankert bleibt als davor und danach. Und auch wenn sich unser Musikgeschmack danach deutlich verändern kann und reichhaltiger wird, die Sounds von damals machen uns glücklich. Also, wenn ich an diese Zeit denke, dann ganz sicher an die Beatles, allen voran Yellow Submarine und All you need is love.

 
 

Ich habe den Eindruck, dass es bei mir immer wieder Phasen gab, die meinen Geschmack besonders geprägt haben: in der Kindheit die Songs meiner großen Schwester (Peter Kraus, Conny, Bill Ramsey ... ), während des Studiums dann war das erstaunlicher Weise nicht Disko, sondern Klassik, ganz besonders auch Bach, Händel, Vivaldi etc, eine Vorliebe, die bis heute unverändert anhält.

Einen wirklich neuen Musikgeschmack habe ich entwickelt, als uns unser Sohn im DJ-Fieber stundenlang mit Electronic Music, Hip-Hop, Deep House und Chillout beschallte. Ehrlich gesagt, ich mag diese Musik inzwischen ebenfalls und sie gehört für mich heute einfach dazu. Und noch immer freue ich mich, wenn unser Sohn nach Hause kommt und seine aktuelle Musik mitbringt.

Mit der Pension kam ein weiteres Genre in mein Leben: Jazz. Noch vor wenigen Jahren hätte ich aus voller Überzeugung gesagt: „Jazz, das ist nichts für mich.“ Daher war es für mich eher überraschend, dass uns Freunde mit ihren Jam Sessions so mitgerissen haben, dass wir Jazz jetzt nicht nur überwiegend hören, sondern ich auch Klavierunterricht dazu nehme.

Wenn ich meine Laune besonders heben will, dann höre ich mir Volks- und Blasmusik an, denn diese Musik beamt mich auf´s Land zurück, in die Berge und damit wohl in meine Kindheit. Ich bin Robert wirklich dankbar dafür, dass er da mitmacht!

Viele Menschen bewegen sich im Alter innerhalb nur eines Musikstils und erzeugen damit auch nur einseitige Emotionen. Aber es ist unglaublich bereichernd - und nie zu spät - sich in neue Musik-Stile hineinzuhören, einfach weil sie unterschiedliche Emotionen und Stimmungen ansprechen und damit das emotionale Spektrum erweitern.

 

MACH DIR EIN „MUSIKALISCHES FOTOALBUM“ MIT DEINER PERSÖNLICHEN AUSWAHL VON „GOOD VIBRATIONS“

Musik hat die wunderbare Eigenschaft, uns in gewünschte Stimmungen zu versetzen! Das kann man ganz bewusst einsetzen! Good vibrations können uns aus negativen Stimmungen holen, positive Emotionen erzeugen, sie können uns Mut machen und auch Heilung fördern. Stefan Kölsch, Musikpsychologie & Neurowissenschaftler, empfiehlt daher, sich mehrere Playlists für unterschiedliche Stimmungen auf dem Smartphone anzulegen, die wir immer verfügbar haben. [3]

Also je eine Playliste mit Musikstücken oder Songs,

  • die fröhlich und aufmunternd sind, um Deine Stimmung aufzuhellen und dich aus negativen Gedankenspiralen zu bringen. Dabei ist es entscheidend, gedanklich wirklich der Musik zu folgen und sie nicht nur im Hintergrund laufen zu lassen.

  • die Mut machen, Zuversicht verströmen, die dich motivieren, ermutigen und vitalisieren.

  • bei denen Du dich maximal entspannen kannst. Der Effekt steigt, wenn man im Rhythmus dazu atmet, also z.B. 4 Takte lang einatmet und 6 Takte ausatmet.

  • die einfach nur Spaß und glücklich machen.

Jedes Mal, wenn wir lachen oder uns freuen, entsteht ein biochemisches Feuerwerk, das unserer Gesundheit förderlich ist. Musk kann diese positiven Emotionen hervorrufen und unterstützt so unsere Heilkräfte. Aber es sind nicht nur die Hormone, die ausgeschüttet werden, allen voran Dopamin, das auch als Glückshormon bezeichnet wird. Aus energetischer Sicht geht unser gesamter Körper mit der Schwingung der Musik in Resonanz, denn wir hören nicht nur mit den Ohren. Wir haben auch an vielen anderen Stellen Vibrationsrezeptoren.

Manchmal kann es auch gut tun, Musik zu wählen, die der aktuellen Stimmung entspricht, also etwa traurige oder melancholische Songs. Wenn Du allerdings länger darin hängen bleibst, werden sie Dich noch tiefer in negative Emotionen und Gedankenspiralen hineinziehen und genau das ist mit Sicherheit ungesund. Daher organisiere deine Playlists so, dass sie immer heiterer und heiterer werden. Sei auch sehr vorsichtig bei Musik, die mit negativen Erfahrungen oder Erinnerungen in Zusammenhang steht!  

Wenn Du zu diesem Thema  tiefer eintauchen möchtest und mehr Hintergründe über die heilsame Wirkung von Musik bei verschiedenen Situationen und Krankheiten erfahren möchtest, empfehle ich Dir das Buch von Stefan Kölsch „Good Vibrations“: die heilende Kraft der Musik“ [2] oder eines seiner Videos.

UND IMMER WIEDER GIBT ES PARTY!

Von Party im Sinne der heutigen Jugend mit ihren Massenveranstaltungen bin ich weit entfernt. Aber das ausgelassene Tanzen, Mitsingen und sich von der Musik tragen lassen habe ich dort (wieder)gelernt, wo man es am wenigsten vermuten würde: im Rahmen der energetisch-spirituellen Ausbildungen mit Roy Martina. Er vertritt die Meinung, dass man diesen „irdischen“ Ausgleich braucht, besonders, wenn man viel spirituell arbeitete, meditiert, Selbsterfahrung macht etc. Und Party machen ist perfekt dafür. Daher gab es nach jeder Einheit in seinen Workshops ein Medley aus Shakira, Lady Gaga, Pink, Cher, Electronic Music, Hip-Hop und so weiter.

Diese Erfahrung war ein musikalischer Quantensprung, den mein Mann und ich von diesen Seminaren mit nach Hause genommen haben. Von Zeit zu Zeit machen wir jetzt auch zu Hause Party, nur für uns beide. Einfach weil es Spaß macht!

Vielleicht ist das auch etwas für Dich?

Und, wenn Du möchtest, lass uns Deine musikalischen Vorlieben und Erinnerungen in den Comments lesen, denn so kommen wir alle auf neue Ideen.

Herzlichst
Helga

[1] The Queen´s Platinum Jubilee Concert gesehen? https://www.youtube.com/watch?v=Sig24-pQDBo


[2] Seth Stephens-Davidowitz: Spotify study reveals our musical tastes peak as teens. (2018) https://bigthink.com/culture-religion/spotify-study-reveals-our-musical-tastes-peak-as-teens/

[3] Stefan Kölsch: Good Vibrations: die Heilende Kraft der Musik (2020)

Memoiren - mehr als nur Erinnerungen

Hast Du schon darüber  nachgedacht deine Autobiografie oder deine Memoiren zu schreiben? Nein? Ich auch nicht! Aber ich habe diesen Prozess bei meiner Schwester miterlebt, die vor 3 Jahren damit begonnen hat und nun fast fertig ist.  Warum sie das gemacht hat, was dabei so interessant war und wie sich die Motivation während des Schreibens geändert hat, möchte ich euch heute berichten. Denn ich glaube, dass es für jeden interessant ist, das eigene Leben zu reflektieren, um daraus Klarheit und Kraft zu erfahren und es zu würdigen.

Take away

  • Selbstreflexion als Entwicklungsaufgabe im Alter.

  • Herausfinden, was im eigenen Leben wirklich zählt.

  • Weil man sich das Positive vor Augen führt und weniger Positives nun mit Abstand neu bewerten kann.

 
 

LEBENSRÜCKBLICK GEHÖRT ZU DEN WICHTIGSTEN AUFGABEN IM ALTER

Es gibt die verschiedensten Motivationen dafür, den Lebensrückblick niederzuschreiben. Viele Menschen wollen Erinnerungen und besondere Erlebnisse für ihre Nachkommen festhalten. Aber noch viel häufiger liegt die Motivation darin, sich an die schönen und/oder auch an die weniger schönen Zeiten zu erinnern und so ein neues Verständnis dafür zu schaffen oder damit abzuschließen. Wenn man das ehrlich und ohne Werturteil über sich und andere zu Papier bringt, merkt man schnell, wie gut man so manches bewältig hat und wie wunderbar sich manche Wendungen im Leben ergeben haben.

Das Memoirenschreiben ist inzwischen in der Altersforschung als identitätsstiftende und besonders sinnvolle Tätigkeit anerkannt. Es geht nicht um sentimentales Schwelgen in der Vergangenheit, sondern um Selbstreflexion als Entwicklungsaufgabe im Alter. In einer Dissertation zu diesem Thema heißt es: „Dieses autobiografische Erinnern hat eine besondere Wirkung auf das Wohlbefinden und kann als wesentliche Ressource zur Gestaltung des eignen Alters beitragen und zählt zu den bedeutendsten, sinnstiftenden Tätigkeiten im Alter.“  [i]

MEMOIREN ODER AUTOBIOGRAPHIE – ZWEI VERSCHIEDENE DINGE

Es gibt zwei Arten diesen Lebensrückblick zu gestalten. Wenn man von Autobiographie spricht, dann meint man einen Bericht über das Leben, chronologisch, detailliert, in dem Daten und Fakten eine wichtige Rolle spielen. Bei Memoiren geht es um einen Bericht aus dem Leben, also Erinnerungen über bestimmte Ereignisse oder Epochen, in denen das persönliche Erleben im Vordergrund steht. Das kann das Berufsleben sein, das Familienleben, das können Reiseerinnerungen oder einfach besondere Ereignisse sein.

ERFAHRUNGEN MIT DEM MEMOIREN SCHREIBEN

Meine Schwester Daya ist vor 50 Jahren der Liebe wegen von Österreich nach Japan gezogen, also zu einer Zeit, in der das noch mehr als ungewöhnlich war. Dementsprechend ungewöhnlich war auch ihr Leben zwischen zwei so unterschiedlichen Kulturen. Telefonieren war kaum möglich, Videochats wie heute waren unbekannt, also blieben nur Briefe um zu kommunizieren. Unsere Mutter hat alle Briefe von Daya gesammelt und so existieren über 1.000 handgeschriebene Briefe über ihr Leben in Japan! Vor 3 Jahren hat sie begonnen anhand dieser Briefe ihre Lebensgeschichte und vor allem auch den europäischen Hintergrund für ihre Kinder und Enkelkinder zusammenzufassen. Dass daraus mehr geworden ist und sie viele persönliche Erkenntnisse gewonnen hat, hat sie selbst überrascht.

Ich habe viele, lange Gespräche mit meiner Schwester dazu geführt und möchte euch das Wichtigste berichten.

Daya, was waren für dich die interessantesten Erkenntnisse durch das Schreiben deiner Memoiren?

Natürlich hat man eine Vorstellung davon, wer man eigentlich ist und weiß, was im Leben bedeutsam war. Aber beim Memoirenschreiben muss man notgedrungen eine Auswahl treffen. Das Gewicht, das ich manchen Erinnerungen gab - wohingegen ich andere als unwichtig beiseite geschoben habe - zeigte mir deutlich, was mir ganz persönlich von größter Bedeutsamkeit erschien. Was in meinem Leben wirklich zählt!

Das waren in meinem Fall nicht unbedingt berufliche Erfolge oder die vielen Reisen, auch wenn sie mich mit Freude und Stolz erfüllen. Für mich war es geradezu lebenswichtig, dass meine japanisch-österreichische Familie beide Kulturen zu ihrem Recht kommen ließ. Von überragender Bedeutung waren deshalb familiäre Traditionen, die ich offensichtlich ganz gezielt als Gegengewicht zur japanischen Umgebung einsetzte und förderte, obwohl mir das damals gar nicht voll bewusst war. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass unsere Familienfeste (Fasching, Weihnachten, Geburtstage,...) etwas Besonderes waren, aber wie besonders wurde mir erst klar, als ich Seite um Seite mit Beschreibungen und Fotos davon füllte. Die Kreativität, mit der wir sie gestaltet haben, hat auch meine Lehrtätigkeit enorm beeinflusst und zieht sich wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben. Seit mir das in dieser Klarheit bewusst ist, kann ich auch viel besser damit umgehen, dass mit dem Alter viele Veränderungen kommen. Manche Sportarten gehen nicht mehr wie früher, weite Reisen derzeit auch nicht. Aber wenn ich sehe, wie meine Kinder diese Traditionen übernehmen und ihr eigenes daraus machen, ist mein Lebenstraum erfüllt.

Lernt man auch weniger positive Dinge und Lebensumstände besser einzuschätzen?

Oh ja, auch die konnte ich durch das Schreiben aufarbeiten, sie von mir ablösen und meinen Frieden damit schließen. Das vermutlich Wichtigste war, dass mir klar wurde, dass es selbst in einem Leben, das man im Rückblick als erfüllt und glücklich beurteilt, auch Schwierigkeiten und teilweise sehr große Herausforderungen gegeben hat. Aber alle Situationen haben sich in irgendeiner Form und durch mein Zutun positiv aufgelöst. Mir ist klar geworden, welche Methoden ich einsetze, um mit Problemen fertig zu werden und dass ich darauf vertrauen kann. Das hilft mir auch heute mit aktuellen Herausforderungen klar zu kommen. Zu wissen, dass es auf die eine oder andere Weise immer gut weiter geht, gibt ein unglaubliches Gefühl von Sicherheit.

Und schließlich ist durch das Niederschreiben der vielen schönen Erlebnisse meine Dankbarkeit enorm gestiegen. Ich trage so viele schöne Erinnerungen in mir.

Wie bist Du es praktisch angegangen?

Ich habe drei Bereiche gewählt. Der erste Abschnitt meiner Memoiren handelt von unserer Familie und geht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Es ging mir darum das Leben unserer Großeltern und Eltern wiederzugeben und in das soziale Umfeld von damals einzuordnen, damit dieser österreichische Teil der Familie für meine eigenen Kinder und Enkel in Japan zugänglich ist. Dabei habe ich selber erstaunlich viel über unsere Eltern erfahren und sie besser verstehen gelernt. Sie haben zwei Weltkriege und die Zeit der Depression in ihrer Jugend miterlebt und trotzdem danach so viel aufgebaut und uns mitgegeben. Es ist über ihre Vergangenheit selten gesprochen worden, und dennoch hat alles, was sie erlebt haben, uns mitgeprägt. Was mich an diesem Teil so fasziniert hat, ist, dass ich vieles von ihnen in mir erkenne und trotzdem meinen eigenen Weg gegangen bin.

Die Kapitel über meine Kindheit und Jugend waren mehr oder weniger von Nostalgie geprägt, wobei ich versucht habe, den Lebensstil der damaligen Zeit miteinzubeziehen. Ein Leben ohne Plastik, ohne Flugreisen, ohne Computer kann man sich ja heutzutage kaum mehr vorstellen.

Am Spannendsten war es mein Erwachsenenleben zu beschreiben, Die Briefe, in denen ich den Eltern mein Leben in Japan beschrieben habe, haben mich berührt, als wäre ich in eine Zeitmaschine geraten. Das war wirklich ich selber; so habe ich damals gedacht; das war mir damals wichtig genug, es schriftlich festzuhalten. Erstaunlicherweise habe ich bemerkt, dass ich mich problemlos mit meinem jüngeren Selbst identifizieren konnte. Meine Einstellung gegenüber vielen Dingen hatte sich nicht grundlegend verändert, ich habe nur dazugelernt. Diese Texte haben längst vergessen geglaubte Einzelheiten wieder wachgerufen. Sofort war alles wieder da, Bilder, Gefühle, selbst Töne oder Gerüche, so unmittelbar als hätte ich es erst gestern erlebt. Viele Male hatte ich beim Lesen den Eindruck, einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen zu sehen.

Durch das Auswählen und Niederschreiben hat sich meine Motivation nach und nach weg von der einfachen Nacherzählung der Vergangenheit zu einer Art Selbstfindung verschoben. Es ging mir immer mehr um den Stellenwert, den gewisse Erlebnisse in meinem Leben hatten. Wo habe ich bewusst oder unbewusst Weichen gestellt? Warum bedeutete das Eine so viel und das Andere so wenig? Welche Mechanismen nützten mir in welchen Situationen?

Was würdest Du jemandem raten, der jetzt Lust bekommen hat, seine Memoiren zu schreiben? Wo soll man beginnen? Wohin führt es?

Memoiren zu schreiben ist ein Prozess, auf den man sich einlassen muss. Es fließt viel Zeit hinein, aber Zeit, die einem selber voll und ganz zugutekommt. Wichtig ist auch der Austausch mit anderen – so wie wir beide das gemacht haben - das schärft nochmal den Blick. Damit der Umfang nicht so überwältigend groß erscheint, kann man natürlich auch bei einzelnen Abschnitten anfangen, die einem, aus welchem Grund auch immer, leichtfallen oder wichtig sind. Und sollte man wirklich auf Themen stoßen, die einem schwerfallen, etwa jemandem zu vergeben, dann ist das ein guter Anlass sich Hilfe zu suchen und es wirkt befreiend.

Die Arbeit an meinen Memoiren ist noch nicht abgeschlossen, aber schon jetzt weiß ich, dass sie mir einen Weg in meine tiefste Seele geöffnet hat, den ich sonst nicht gefunden hätte.

Liebe Daya, ich danke Dir für Deine Einblicke und auch dafür, dass Du den ersten Teil meiner Memoiren, nämlich jenen über unsere Familie, bereits geschrieben hast. Die beiden anderen Teile – Kindheit/Jugend und mein Erwachsenenalter – stehen nun durch Deine Anregungen fix auch auf meiner Job-im-Alter Liste.

JEDER LEBENSRÜCKBLICK IST SPANNEND UND WERTVOLL

Vielleicht ist es einfacher, wenn man auf schriftliche Dokumente wie Briefe und Tagebücher zurückgreifen kann, aber ich bin sicher, dass Fotos oder Filme, Erinnerungen, Gespräche oder einfach nur der Fokus auf bestimmte Ereignisse im Leben ebenfalls sehr gute Reflexionen ermöglichen, Und vielleicht war das Leben von Daya in Japan außergewöhnlich, aber ist nicht jedes Leben außergewöhnlich und einzigartig? Und damit wert betrachtet zu werden?

Herzlichst
Helga

[i] Geneviève Grimm-Montel: Funktionen des Erinnerns im erzählten Lebensrückblick älterer Menschen. Narrative Selbstdarstellung und Integration autobiografischer Erfahrungen. Dissertation an der Universität Zürich (2012) https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/76278/1/Grimm-Dissertation.pdf