MEIN PLÄDOYER FÜR COMFORT FOOD
Comfort Food oder Wohlfühlessen ist besonders nach den Pandemiejahren stark in Verruf geraten, weil es als Trostspender übermäßig konsumiert wurde. Die fast immer kalorienreichen, oft süßen und fettigen Speisen jagen die Kilos hinauf, hinterlassen ein schlechtes Gewissen und passen überhaupt nicht in einen gesundheitsbezogenen Ernährungsplan.
Für mich ist es aber das, was es sein soll, nämlich pures Vergnügen! Es ist ein Wohlfühlessen, mit Liebe zubereitet, das man sich bewusst und sparsam gönnt, weil es Spaß macht und für ein inneres Lächeln sorgt. Es ist ein einfaches Vergnügen, das unseren Geruchs- und Geschmackssinn anregt, die beide wichtig für positive Emotionen sind. Daher finde ich, es gehört von Zeit zu Zeit in unser Leben!
Take away:
Gönn‘ dir manchmal bewusst (nicht aus Frust oder ähnlichem) eines deiner ganz speziellen Lieblingsessen und schwelge in dem Potpourri von guten Gefühlen.
Comfort Food ist fast immer einfach, authentisch und leicht selber zu machen. Aber noch schöner ist es, wenn wir es mit Liebe serviert bekommen.
Versuche nie negative Emotionen mit Essen zu verscheuchen. Das funktioniert nicht. Dafür gibt es andere gute Methoden (z.B. Stress Release mit Tapping oder mit deinem Soundtrack).
DAS KLEINE, EINFACHE VERGNÜGEN
Vor kurzem ist uns etwas Reis vom Vortag übriggeblieben und mein Mann machte spontan dazu eine einfache Tomatensoße mit viel Butter darin[i]. Reis mit Paradeissoße, wie man in Wien sagt. Schon beim ersten Löffel breitet sich bei uns beiden ein wohliges inneres Lächeln aus, das mit jedem Bissen mehr wird. Völlig unabhängig voneinander stellen wir fest: „Es schmeckt wie in unserer Kindheit!“
Wir kochen beide ausgesprochen gerne und gut, auch raffiniert und probieren vieles aus, aber kaum ein Gericht hat uns in letzter Zeit so beglückt. Wie einfach es doch ist, auf diese Art pures Vergnügen in den Alltag zu zaubern.
Dieses Erlebnis gehört für mich in die Kategorie Comfort Food oder Wohlfühlessen. Und ich möchte in diesem Post dem nachgehen, was es ausmacht und auch, was es nicht sein soll! Außerdem kommt jetzt die kalte Jahreszeit, in der man sich gerne zu Hause zurückzieht und sich Zeit für solche kleinen, warmen Vergnügen nehmen kann.
COMFORT FOOD HAT HEUTE KEINEN GUTEN RUF
Der Begriff Comfort Food – Wohlfühlessen - ist noch gar nicht so alt. Erwähnt wurde er das erste Mal 1966, als eine Zeitung in Kalifornien darüber schrieb, dass Erwachsene unter Stress zu Nahrungsmitteln greifen, die an ihre Kindheit erinnern und ein wohliges Gefühl auslösen.
Dieses Gefühl hat allerdings seinen Preis, denn zumeist sind es Gerichte mit viel Zucker, Kohlenhydraten und Fetten und in Summe daher mit vielen Kalorien. Alles Dinge, die unserer modernen Ernährungsidee und auch den Gesundheitsbedürfnissen widersprechen. Wenn Du daher nach Comfort Food auf Suche gehst, überhäufen dich Artikel, die davor warnen. Andererseits preist die Lebensmittelindustrie jede Menge Fertigfutter an, das genau dieses Wohlgefühl bieten sollen. Und natürlich gibt es unzählige Kochbücher und Rezepte im Internet zu diesem Thema.
Comfort Food wird oft auch als Trostessen bezeichnet und im Zusammenhang mit „Emotionalem Essen“ genannt, also Essen um sich besser zu fühlen. Dazu zählt, dass man sich aus Gewohnheit z.B. Schokolade, Knabbergebäck, Fast Food oder sonst leicht verfügbares, kalorienreiches Futter hineinzieht (nicht nur ein Stück, sondern gleich die ganze Packung!), weil man frustriert ist, Stress hat, traurig ist, sich einsam fühlt oder sich belohnen möchte. Ja, dann hängen sich Kilos um Kilos an und sind nur mehr sehr schwer wegzubekommen. Ganz besonders wenn man älter wird, scheinen diese Kilos noch deutlich zäher zu kleben. Die anfänglich positive, emotionale Wirkung hält leider nur kurz an und hinterher bleibt auch noch das schlechte Gewissen.
Es ist sicher keine gute Idee Comfort Food z.B. aus der Packung als Stimmungsaufheller heranzuziehen. Dafür gibt es bessere Methoden, zum Beispiel, wenn du dir deine Playliste mit Songs auflegst, die dich aus dieser Stimmung herausführen (siehe dazu The Soundtrack of My Life). Vor kurzem hat mir eine Klientin erzählt, dass sie ihre Naschereien völlig aufgeben hat, als ihr nach unserem Coaching klar wurde, dass es nur darum ging, sich selbst zu belohnen. Allein der Gedanke „ich will mich ja nur belohnen, das kann ich doch anders auch“ reicht schon aus, dass sie heute nicht mehr zu den einfachen Verführern wie Schokolade oder Keksen greift. Sie hat so nachhaltig und ohne Diät viele Kilos abgenommen.
Wenn wir strahlend alt werden wollen, dann spielt Ernährung eine wirklich große Rolle. Einiges dazu findet ihr auch in meinen beiden Posts Essen im Alter- eine Love Story und Ernährung im Alter – worauf es ankommt . Für gesundes Essen bin ich jederzeit zu begeistern. Aber müssen wir denn alles andere ins Eck verbannen, nur weil man damit Missbrauch treiben kann? Ist es nicht mit allen Dingen so, dass sie schädlich werden können, wenn man sie exzessiv konsumiert? Daher möchte ich jetzt die Dinge hervorheben, die Comfort Food für uns im Alter so schön und, ich denke auch, wichtig machen.
COMFORT FOOD BEWUSST WÄHLEN
Das Zauberwort heißt bewusst! In dem Moment, in dem man kein emotionales Bedürfnis überdecken möchte, sondern ganz im Gegenteil sehr bewusst ein Geschmackserlebnis zulässt, das einen mit schönen Emotionen verbindet, wird Comfort Food zum Glück. Und dass Glück einerseits Entscheidung ist und andererseits mit Achtsamkeit zu tun hat, habe ich euch schon erzählt (Wie werde ich im Alter glücklich). Dass man natürlich nur jenes Comfort Food wählt, das man auch unter medizinischen Aspekten verträgt, versteht sich von selbst!
Kein anderer Sinneseindruck ist mit so vielen Gefühlen und Emotionen verbunden, wie das Geruchserlebnis und das spielt auch beim „schmeckt gut“ eine entscheidende Rolle. Nur ein kleiner Teil des Geschmacks entsteht auf der Zunge. Wir können über den Geruchssinn rund 10.000 verschiedene Gerüche unterscheiden und damit Erinnerungen und Eindrücke verbinden. Mit unserer Zunge hingegen nehmen wir gerade einmal 5 Geschmacksrichtungen wahr: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Der Geruch hat zudem die Eigenschaft, dass er ungefiltert im limbischen System des Gehirns ankommt, noch bevor wir ihn rational erfassen können. Es werden so automatisch emotionale, manchmal auch nostalgische, Erinnerungen und Assoziationen hochgefahren. Ganz ohne unser logisches Zutun.
DEN GESCHMACKS- & GERUCHSSINN ERHALTEN
Im Alter schwächen sich unsere Sinne ab. Daher tragen viele Senioren eine Weitsichtigkeits-Brille oder haben Hörgeräte. Aber bei Geschmack und Geruch finden sich viele mit dieser Veränderung einfach ab oder verwenden Geschmacksverstärker. Deshalb salzen manche Senioren viel mehr oder sie beklagen sich, dass „das alles nicht mehr so schmeckt, wie früher“. Es wird geschätzt, dass in unserer westlichen Welt 60% der 65-80-jährigen und sogar über 75% der über 80-jährigen an Riechstörungen leiden bzw. Gerüche schlechter verarbeiten können. Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich immer, müssen wir uns damit zufriedengeben oder können wir etwas tun, um uns diese Sinneswelt besser zu erhalten?
Die Antwort ist ja, man kann diese Sinne bis ins hohe Alter trainieren und immer wieder die Wahrnehmung schärfen. Es wirkt auch besonders gut, wenn man für eine gewisse Zeit eine Art Abstinenz einlegt, also z.B. alles Süße weglässt, starken Geschmack oder Geruch vermeidet. Danach „explodieren“ die Eindrücke förmlich wieder. Jeder, der schon einmal eine Nulldiät gemacht hat, kennt das. Genauso ist es mit dem Comfort Food, achtsam und sparsam genossen trainieren wir damit unsere Sinne.
Denkt aber bitte unbedingt auch daran, dass zu große Erwartungshaltungen, die ihr mit einem bestimmten Essen verbindet, leicht zu Enttäuschungen führen können. Denn wir ändern uns im Laufe der Zeit, der Kontext ändert sich ebenso wie die Rahmenbedingungen und manchmal auch die Qualität der Lebensmittel. Also geht es locker an und lasst euch immer überraschen.
WENN ICH DAS ESSE, IST DIE WELT IN ORDNUNG
In einigen Gesprächen mit meiner Schwägerin Evelyn hat sich herausgestellt, dass auch innerhalb von Familien und Geschwistern die Vorlieben völlig unterschiedlich sind. Was die einen lieben, lehnen die anderen zum Teil vehement ab. Da gibt es die Liebhaber von Grießkoch und Milchreis oder auch die „Kartoffelfraktion“ von Kartoffelpüree, Kartoffeln mit Butter bis zu Dillkartoffeln. Beim Auflisten kamen wir auch auf Haferflockensuppe mit Rahm, Spinat-Palatschinken[ii], Frittatensuppe oder Erbswurst-Suppe (kennt ihr die noch? Die gab es früher auf jeder Schihütte. Allerdings mache ich sie heute lieber aus Tiefkühl-Erbsen und nicht aus dem gepressten und getrockneten Erbsenmehl).
Bei all diesen Gerichten, mit denen wir uns selbst und unseren Lieben eine echte Freude bereiten können, fällt uns auf, dass sie einfach, ja fast simpel, authentisch und leicht zu machen sind. Vielleicht ist es gerade das Einfache, das uns so bezaubert, nachdem unser ganzes Leben so komplex und raffiniert geworden ist. Zusätzlich werden diese Gerichte mit besonderer LIEBE zubereitet. Wir können uns selbst und den anderen über diesen Weg ganz leicht Liebe schenken! Wie wär´s daher mit einer Comfy-Food-Einladung für Freunde oder Familie?
Und weil „Ausnahmen die Regel bestätigen“: es müssen nicht immer Kindheitserinnerungen und einfache Gerichte sein, die unser Herz erfreuen. Für meinen Schwager gehört z.B. Hummercremesuppe dazu, ein wahrer Luxus, den er sich nach seinem ersten, wirklich großen beruflichen Erfolg geleistet hat. Heute darf sie für ihn auch gelegentlich aus der Dose kommen und verfehlt nie die Wirkung: eine glückliche Erinnerung!
Für mich haben all diese Speisen eines gemeinsam, sie entlocken uns ein Ahh, ein Mmm und dieses oben zitierte innere Lächeln. Mehr braucht´s auch nicht!
Für einen Moment treten Hektik und mögliche Probleme in den Hintergrund und wir sind ganz bei uns. Genau deshalb gehört Comfort Food zum strahlenden Alter!
Herzlichst
Helga
[i] Ich verrate ich euch noch das Rezept der herrlichen Butter-Tomatensoße, die Robert zubereitet hat. Für diese Tomatensauce brauchst du nur 2 Zutaten, viel Liebe und Zeit. Sie ist an Einfachheit kaum zu überbieten. Du nimmst 400 g Tomaten (z.B. passiert oder aus der Dose), 6 EL Butter (ca. 60 g), eine Prise Zucker und 1 TL Salz. Alles zusammen lässt du mindestens 30 Minuten ganz leicht köcheln, damit sich die Aromen und die Konsistenz entwickeln können.
[ii] Palatschinken sind österreichische, dünne Pfannkuchen; Frittaten sind die daraus in feine Streifen geschnittene Suppeneinlage.