Werte

Sinn im Alter

Solange  „Anti-Aging und Forever Young“ angesagt sind, kann es schwierig sein, im Alter einen Sinn zu finden. Aber ich denke, wenn das Leben das Alter als Lebensphase eingerichtet hat, dann muss es auch einen Sinn haben! Und den gilt es zu finden.

Diesem Sinn will ich nachgehen, denn ich bin überzeugt, dass das Alter Erlebnisse und Erkenntnisse bringt, die man bisher noch nicht kannte und die auch nur im Alter erlebbar werden.

Deshalb freut es mich, dass ich euch heute über ein Gespräch mit Daniela Philipp [1] berichten kann, in dem wir genau diesen Fragen nachgehen. Daniela Philipp ist sinnzentrierte Unternehmens- und Lebens- und Sozial-Beraterin und Vorständin im Viktor Frankl Zentrum Wien [2].

Und, um es gleich vorwegzunehmen, das Alter ist eine einzige Sinn-Quelle!

Take away

  • Die Kunst des sinnvollen Lebens ist zu wissen, was wann dran ist. Und das ändert sich ständig.

  • Der Sinn liegt im jeweiligen Augenblick.

  • Alter ist ein negativ besetztes Wort: es sollte Vollendungsphase heißen.  

 

Sinn im Alter:
Im Gespräch mit Daniela Philipp

Sinnzentrierte Beraterin

 

VOLLENDUNG STATT ANTI-AGING

Liebe Daniela. auch wenn ich mich freue, dass ich mit Ende 60 körperlich so fit bin, ich finde den Hype um Anti-Aging und Forever Young nicht erstrebenswert. Denn ich habe das Gefühl, wenn man gegen das Alter kämpft, wird man schwer einen Sinn darin finden. Berauben wir uns da nicht wichtiger Erfahrungen?

Daniela: Oh ja, das Alter hat extrem vieles zu bieten, das einen mit Sinn erfüllt. An Stelle der schöpferischen Werte, die sich in der Leistungs-Fähigkeit ausdrücken, rücken eher die Erlebniswerte in der Begegnung mit der Welt und die Einstellungswerte in Bezug auf Unabänderliches in den Mittelpunkt. Daraus Sinn zu schöpfen geht bis zum letzten Tag und es sind andere Einsichten möglich, die sich in der Jugend noch nicht erschließen.

Alter ist ein schlechtes, negativ besetztes Wort. Für mich sollte es Vollendungsphase heißen! Ich sehe die Dynamik des Leben wie eine große Symphonie. Die Schönheit des Musikstücks zeichnet sich durch den Beginn, den Höhepunkt und vor allem den Schluss aus. Die letzten Takte sind entscheidend für den Gesamteindruck. Da legen sowohl Komponisten, als auch Musiker besondere Hingabe hinein. Auch wir dürfen diesen Schlussakkord spielen und das ist etwas anderes als zu sagen, jetzt bin ich halt alt und dann ist es einfach aus! 

Wieso wollen dann so viele an der Jugend festhalten und den dritten oder 4. Satz der Symphonie, sprich das Alter, nicht spielen?

Die großen Übergangsphasen im Leben machen den meisten Menschen Angst und daher wollen sie lieber die alten Gewohnheiten beibehalten, um in diesen (scheinbare) Geborgenheit und Sicherheit zu erfahren. Sie suchen nach Kontinuität. Also, z.B. Forever Young sein. Und natürlich leben wir in einer Kultur, die die Jugend mehr ehrt als das Alter.

Aber in der Logotherapie [3]gibt es die schöne Bezeichnung des „Sinn des Augenblicks“.  Sinn ist etwas, das immer wieder neu anklopft. In jeder Lebensphase und in jedem Moment. Wir müssen uns nur die entscheidenden Fragen stellen:

Wozu fordert mich das jetzt auf?
Was will das Leben jetzt von mir?
Was ist jetzt für mich am sinnvollsten zu tun?

Wenn du diese Fragen beantwortest,
ist es egal in welcher Lebensphase du gerade bist.
In der Jugend ist das Gebot der Stunde natürlich etwas anderes
als im Alter, wenn der Sinn der Vollendung ansteht.  

SINN BEDEUTET DAS BESTMÖGLICHE FÜR MICH UND ANDERE

Für viele ist der Pensionsantritt schwierig. Manche überfällt eine große Leere, andere eine Hyperaktivität. Nach der ersten Leere habe ich begonnen, mich intensiv mit dem Thema „Älter werden“ zu befassen. So ist dieser Blog überhaupt erst entstanden.

Sowohl Mangel als auch Fülle oder Hyperaktivität, beides kann zu einer SINN-LEERE führen. Manchmal ist es einfach nur wichtig, diese Leere auszuhalten, um daraus Neues zu schöpfen, wie du beschrieben hast. Aber es kann auch in der Fülle eine Sinn-Leere entstehen. Genug wovon wir leben können, heißt nicht unbedingt genug WOZU. Derzeit nehmen Depressionen in unserer Gesellschaft stark zu, obwohl objektiv gesehen von allem so viel da ist: Essen, Vergnügen, Information, Möglichkeiten. Und andererseits verwechseln viele Menschen ihren vollen Terminkalender mit Sinn, der aber bei all der Hektik oft unerfüllt bleibt.

Oft höre ich von Pensionisten stolz „ich weiß mir immer etwas zu tun.“ Aber nach deinen Ausführungen ist Sinn im Alter zu finden noch etwas anderes..

Ja, denn der Sinnbegriff der Logotherapie bedeutet das Bestmöglich für mich und andere!

Wir leben in einer Kultur der totalen Selbstoptimierung. Entscheidungen werden überwiegend aus einer ICH-Sicht getroffen und oft fehlt der Blick für´s Umfeld. Aber Sinn entfaltet sich nicht, wenn ich nur auf mich selbst schaue, sondern aus dem Bestmöglichen für mich UND andere. Also mein Beitrag für das persönliche Umfeld, für die Familie, Freunde und Kollegen ist entscheidend. Wenn man etwa in der Pension z.B. ein Studium macht, dann kann das einen Traum erfüllen, aber dieser kann entweder auf Kosten der Familie gehen, oder diese inspirieren. Daher steht immer wieder die Frage im Raum, wie kann ich das, was mir selbst Spaß macht so gestalten, dass es auch für die anderen gut ist.

DIE KUNST DES ALTERS IST DER GUTE LEBENSRÜCKBLICK

Im Alter kann manches wegfallen, was dem Leben früher Sinn gab: Aufgaben, Beruf, Hobbies oder auch Gesundheit. Darum drängt sich im (hohen) Alter die Sinnfrage gelegentlich verstärkt ins Bewusstsein. Manchmal auch als Sinnkrise.

Biologisch geht es mit uns über die Jahre bergab, wenn auch weniger schnell als früher, aber biographisch geht´s mit uns bergauf!

Im Alter kann man vielleicht das eine oder andere nicht mehr so gut, aber wenn wir auf die Schatzkiste eines Menschen schauen, all das Erlebte, dann ist diese voll. Die Kunst eines positiven Alters liegt daher darin, auch auf das Vergangene zu schauen. Wenn ich das nicht mache, sondern nur auf das noch Mögliche blicke, ist mein Glas mehr leer als voll. Und es kann sich Verzweiflung breit machen, wenn man sich bewusst wird, was man im Alter alles nicht mehr kann.  

Viktor Frankl hat dazu einen sehr guten Vergleich gebracht: Wenn ein Bauer nach der Ernte nach vorne schaut, sieht er ein Stoppelfeld. Wenn er allerdings zurückblickt, sieht er seine Ernte sicher in der Scheune liegen. So lange wir leben kommen neue Ernten dazu!

Vor einigen Monaten habe ich meine Memoiren über mein Berufsleben geschrieben. Das ist genau aus diesem Gefühl entstanden. Ich wollte mir bewusst machen, was ich schon alles erlebt habe und machen durfte. Mir vor Augen zu führen, was gelungen oder weniger gelungen ist, welche Menschen mich begleitet und welche Rolle sie für mich gespielt haben, wie meine Work-Life Balance ausgesehen hat und vieles mehr. Das war erfüllend und klärend gleichzeitig. (siehe auch Memoiren - mehr als Erinnerung)

Genau, entscheidend ist, wie man zurückschaut! Beim Lebensrückblick kommt es darauf an, worauf man den Blick richtet. Schaut man voll Wehmut zurück und führt sich permanent vor Augen, was man alles jetzt nicht mehr hat, dann richtet man den Blick auf das Stoppelfeld. Oder man schaut zurück und betrachtet die eingebrachte Ernte: Gutes und Schlechtes. In diesem Punkt geht man ohne Wertung heran. Und jetzt kommt der entscheidende Schritt: an dieser Stelle hast du die große Freiheit der persönlichen Einstellung dazu. Es geht darum, wie du heute dazu Stellung nimmst, nicht, wie du es damals erlebt hast! Es ist deine freie Entscheidung heute daraus ein Drama zu machen oder einen Entwicklungsroman, vielleicht sogar eine Komödie. Hier geht es alleine um Einstellungswerte.

Gut zurückzuschauen ist entscheidend für ein glückliches Leben. Selbst in der letzten Minuten meines Lebens habe ich den Freiraum, ob ich mit einem JA zu meinem Leben sterbe oder einem NEIN.

Sinn im Alter liegt auch im Erkennen der Vergangenheit und des Verewigten. Das ist der Reichtum gegenüber Jungen, die nur das Feld vor sich sehen. Unglücklich sind Menschen, die vergleichen, mit anderen oder mit sich selbst in früheren Jahren. In jedem Moment, wo ich mich vergleiche, wird es schwierig.

DIE 3 WERTEkategorien, die SINN AUSMACHEN:

  • SCHÖPFERISCHE WERTE  - Leistungsfähigkeit

  • ERLEBNISWERTE  - Liebesfähigkeit &. Beziehung zur Welt

  • EINSTELLUNGSWERTE - Freiheit der Entscheidung, Leidensfähigkeit

Du hast die drei Wertekategorien von Viktor Frankl schon einige Male erwähnt, die es dem Menschen ermöglichen Sinn zu verwirklichen: Können wir in Bezug auf das Alter noch näher darauf eingehen.

Die schöpferischen Werte finden wir in großem Ausmaß natürlich in der Erwachsenenphase. privat und im Beruf. Und das passt auch gut zu unseren gesellschaftlichen Werten. Im Alter werden sie weniger wichtig aber natürlich gibt es auch da noch reichlich Gelegenheit dazu, und oft in ganz anderer Form als bisher. (siehe Post Etwas machen, das Sinn macht)

Sinn entsteht aber auch durch die Erlebniswerte! Da geht es nicht nur um Urlaubs- und Reiseeindrücke, sondern auch, wenn wir passiv sind und uns etwas hingeben. Der Musik z.B., der Natur oder man hört nur ruhig zu. Dieser Sinn-Aspekt wird im Alter interessanter. Vielleicht kann man jetzt etwas mehr genießen, als früher. Erlebniswerte brauchen Achtsamkeit, Zeit und Hingabe.

Der wohl wichtigste Wert im Alter ist der Einstellungswert – also die Freiheit der Entscheidung. Es gibt Situationen, die wir nicht ändern können, Krankheit etwa oder Verluste. In solchen Fällen ist es wichtig, unsere innere Einstellung und unsere Haltung zum Ereignis, ganz bewusst zu wählen. Man muss nicht am Leid verzweifeln. Durch die Einstellung kann man selbst eine Tragödie in einen persönlichen Triumph zu verwandeln.

FRAG WOZU UND NICHT WARUM

Wenn uns etwas Schlimmes passiert fallen wir so häufig in die WARUM-Frage. Warum jetzt? Warum passiert das mir?

Ja, aber die Warum-Frage bringt gar nichts! Ganz im Gegenteil, sie führt uns in den Wahnsinn oder ins Bodenlose. Erst, wenn man das losgelassen hat und sich der Frage WOZU zuwendet, kann Tolles passieren. Es ist entscheidend, etwas Sinnvolles auch aus diesen Situationen herauszuholen und das geht auf irgendeine Weise immer.

An dieser Stelle kann man sich z.B. fragen: Was für ein Patient möchte ich sein: einer der jammert und leidet, einer der erträgt (und alleine das auszuhalten kann schon Sinn an sich ergeben) oder einer der selbst in dieser Situation noch das Bestmögliche für sich und das Umfeld herausholt.

Meiner Schwiegermutter konnte mit 97 ihre Wohnung nicht mehr verlassen und war auf die Pflege durch ihre Helferinnen angewiesen, die aus vielen Ländern kamen. Daher hat sie begonnen, einzelne Phrasen in deren Landessprache zu lernen und sich mit ihren Herkunftsländern zu befassen. Das war nicht nur für sie selbst eine spannende Aufgabe, sie hat ihren Pflegerinnen damit auch Anerkennung und Respekt gegeben und sich die Welt ins Krankenzimmer geholt.

Ein wunderbares Beispiel! Selbst in diesem hohem Alter hat sie der Situation Sinn gegeben und das Bestmögliche für sich und die anderen gemacht. Altern ist so gesehen eine geistige Leistung, die ein hohes Maß an Einfallsreichtum braucht.

JA ZUM ALTER, JA ZUM SINN DARIN

Ich bin überzeugt, wer Ja sagt zu seinem Alter, wird eher auch in fortgeschrittenen Jahren Sinn-Erfahrungen machen. Wenn du weniger nach dem „Sinn des Lebens“ oder Sinn des Alters fragst, sondern vielmehr nach dem „SINN IM LEBEN“, oder dem Sinn im Alter, dann kannst du diesen in jeder Phase, in jeder Situation neu finden. Wenn man den Sinn des Augenblicks erfasst und sich dem jedes Mal stellt, dann entstehen viele Episoden, die sich wie eine Perlenkette aneinanderreihen. Daraus ergibt sich schließlich meines Erachtens auch der Sinn des Lebens. Es ist wie in einem guten Film, die letzten Szenen bringen oft erst die Klarheit und bringen alles zusammen.

Im Alter geht es um Vollendung! Wie bei einem guten Film!

Liebe Daniela, ich danke Dir für unser Gespräch, Deine Anregungen und vor allem, dass wir uns auf viel Sinn im Alter freuen können.

Herzlichst
Helga

Bücher von Daniela Philipp

  • SinnPulse 01 – Sinn und Entscheidung – Entscheidende Impulse für eine sinnvolle Wahl bei kleinen und großen Lebensfragen; live relations 2020

  • SinnPulse 02 – Sinn und Krise – Ermutigende Impulse für eine gelingende Zukunft trotz Krise; Live relations 202

Mehr zur Säule SINN in meinem Konzept für strahlend Alt werden, findet ihr in meinem Post 5 Säulen für ein strahlendes Alter

[1] Daniela Philipp: Training.Coaching.Consulting, https://www.coaching-consulting.at/ 

[2] Viktor Frankl Zentrum Wien https://www.franklzentrum.org/zentrum/programm.html

[i] Logotherapie & Existenzanalyse, ist die sinnzentrierte Psychotherapierichtung nach Viktor Frankl. Sie leitet sich von den 3 Grundgedanken ab: Freiheit des Willens, Wille zum Sinn und Sinn im Leben.

GOGO, SLOWGO, NOGO

Habt Ihr schon von den 3 Phasen der Pension GO-GO, SLOW-GO & NO-GO gehört? Ich bin durch den Besuch eines amerikanischen Freundes darauf gestoßen, der meinte, seine GO-GO Jahre haben gerade begonnen. Nach unserem Gespräch habe ich weiter recherchiert und herausgefunden, dass dahinter ein klares Finanzierungsmodell steht. In den USA ist die GO-GO-Phase dazu da, Träume auszuleben und dafür braucht es viel Geld. Danach wird das Leben durch körperliche Einschränkungen ruhiger, also die SLOW-GO-Phase, bis man schließlich in der NO-GO-Phase viel Geld für Pflege und Betreuung braucht. Das klingt normal und nachvollziehbar, zeigt aber auch ungeschönt den vermeintlich unausweichlichen Verfall. Und damit bin ich nicht einverstanden. Denn für mich geht das Alter nicht nur bergab, sondern es wird immer reicher an Werten und innerem Frieden, wenn man es schafft sich der persönlichen Entwicklung zu stellen. Und damit können wir das NO-GO vielleicht ganz vermeiden oder zumindest sehr lange hinauszögern.

Take away:

  • GO-GO, SLOW-GO, NO-GO – ein amerikanisches Finanzkonzept für das Alter

  • Hast Du eine so genannte „Bucket Liste“, also eine Liste all der Dinge, die Du noch erleben möchtest?

  • Das Alter ist aber auch die Blütezeit der persönlichen Entwicklung und voll neuer Werte.

 
 

GO-GO, SLOW-GO & NO-GO - WAS STECKT DAHINTER?

Als unser Freund John aus den USA uns knapp nach seiner Pensionierung mit 60 besuchte, war er fröhlich, sportlich, aktiv, voll Tatendrang und am Weg zu einem Schiurlaub in Österreich. Er meinte begeistert, dass für ihn jetzt die GO-GO Jahre begonnen haben. Wir haben schon verstanden was er meinte (siehe Post Gewonnene Jahre), aber dass ein Konzept von 3 Altersphasen in Amerika gang und gäbe ist, war uns neu: GO-GO, SLOW-GO & NO-GO!

So sehen die 3 Phasen aus:

GO-GO, ist der Lebensabschnitt von 60 bis 70 (75), in dem man sich all jene Träume erfüllt, die während des Berufslebens nicht möglich waren. An erster Stelle stehen Reisen, denn in den USA gibt es generell nur sehr wenige Urlaubstage während des Berufslebens. Dann kommen Sport, auch Extremsport und alle Arten von Hobbies. Es geht darum die „bucket list“ zu erfüllen, also eine Liste von Dingen, die man im restlichen Leben gerne noch tun oder erreichen möchte, bevor es zu Ende geht.
Von der Intensität unterscheidet sich dieser Lebensabschnitt daher kaum vom Berufsleben davor. Man hat klare Ziele und die meisten Leute haben noch weniger Zeit als vorher. Charakteristischerweise nennt man diese Senioren daher auch Grey Panther, Power-Ager, Best Ager usw. Klar, dass man in dieser Zeit einiges an Geld braucht und daher bereits lange vorher die Finanzierung dafür planen muss.

SLOW-GO ist der Lebensabschnitt von etwa 70 bis etwa 85, in dem es die meisten etwas langsamer angehen, bedingt durch körperlich Einschränkungen oder einfach weil sie weniger Energie haben. Aus Weltreisen werden Kurztrips, aus Arbeit wird die Betreuung der Enkel, aus extremem Sport wird Walking. Die Achtsamkeit liegt auf Gesundheit und Routinen. Alles ist sehr beschaulich und oft werden die Senioren in der Werbung als gütig dreinblickende Ruheständler auf Gartenbänken oder in gemütlichen Lehnstühlen dargestellt.

NO-GO, also die letzte Phase, die je nach Gesundheitszustand 5 - 20 Jahre sein kann, ist dominiert durch medizinische Betreuung und Pflege und oft verbunden mit weniger sozialen Kontakten, manchmal sogar mit Einsamkeit. Es sind also Alte, die sich nicht mehr alleine bewegen können und daher Pflegedienste, Gehhilfen, Rollstühle, Treppenlifte und anderes brauchen. All das erfordert sehr viel Geld.

Es liegt wohl an der amerikanischen Art, die Dinge klar und fast schonungslos anzusprechen. Bei der Recherche wurde mir klar, dass hinter diesem Konzept primär Finanzdienstleister stehen, die bei der Finanzierung des Alters helfen. Denn in der GO-GO Phase braucht man zum Teil viel mehr als vorher, in der SLOW-GO Phase eher weniger, während in der NO-GO Phase die Kranken- und Pflegekosten massiv zuschlagen. Aus amerikanischer Sicht macht so eine rechtzeitige Planung wohl auch sehr viel Sinn, da die sozialen Systeme nicht vergleichbar sind. Wir in Europa haben staatliche Pensionen, Krankenkassen etc., müssen aber auch zunehmend die Rentenlücke frühzeitig mitplanen. Und dafür geben diese drei Phasen gute Gedankenansätze,

solange man nicht
die GO-GO Phase zur Pflicht erklärt und
die NO-GO Phase automatisch das schreckliche Ende ist!

WO BLEIBEN DIE WERTE IM ALTER?

Ich bin in Finanzsachen keine Expertin und daher stehen in meinem Blog andere Themen im Vordergrund, wie z.B. persönliche Werte. Diese spielen für mich in allen 3 Phasen eine große Rolle.

Auch stehe ich dieser rein materialistischen Einstellung kritisch gegenüber, insbesondere, weil sie suggeriert, dass man GO-GO ausleben muss, weil danach nichts mehr kommt.

Was ist mit persönlichen Werten? Was ist mit der persönlichen Entwicklung, die in dieser Lebensphase einen Höhepunkt erreichen kann? Was ist mit dem Alter als gesellschaftlicher Wert? Und wie viel Einfluss können wir nehmen, dass die NO-GO-Phase nicht eintritt oder zumindest möglichst kurz, in jedem Fall aber sinnvoll und irgendwie angenehm ist? Ich denke, das ist eine der ultimativen Fragen, oder nicht?

In meinem Buch WAS MACHST DU JETZT habe ich die Phasen des Alters so definiert:

  • Freiheit & Erfüllung als Senior von 60 bis etwa 80

  • Ruhe & Sein ab etwa 80

 
 

Das unterscheidet sich oberflächlich betrachtet nicht wesentlich von GO-GO, SLOW-GO und NO GO, inhaltlich jedoch deutlich.

Die NO-GO Phase nenne ich lieber die Phase der RUHE & des SEINS. Wenn man diese in Würde erleben will, braucht man inneren Frieden, Selbstliebe, Akzeptanz und die Fähigkeit, Glück im Moment zu finden. Nachdem man das nicht über Nacht und schon gar nicht im Fall einer plötzlichen Krankheit lernt, muss man wohl rechtzeitig damit anfangen. Also ich würde sagen, bereits in der GO-GO Phase, oder wie ich diese nenne, der Phase von Freiheit & Erfüllung.

Die folgenden 4 Punkte scheinen mir daher für die GO-GO und SLOW-GO Phase wichtig.

1.      Die Freiheit erleben, genießen und genau das tun, was man am besten kann und will (typisches GO-GO), vielleicht sogar mit einer Bucket List. Aber nicht ALLES andere dem unterordnen!

2.      Veränderungen akzeptieren und lieben lernen und Neues daraus schöpfen.

3.      Sich für die Gesellschaft engagieren und etwas geben. Das kann im Rahmen von Freiwilligenarbeit, einer neuen Tätigkeit oder einfach familiärer Unterstützung sein, oder auch nur dadurch, dass man Glück und Freude verströmt; das geht übrigens wirklich in jedem Alter und ist an sich schon ein Wert!

4.      Sich intensiv mit sich selbst auseinandersetzen, z.B. alte Muster auflösen, Blockaden lösen, Frieden schließen u.v.m. – als Wegbereiter für die nächste Phase Ruhe & Sein.

Für die Punkte 1 bis 3 haben die meisten eine gute Vorstellung, was sie machen wollen. Aber der 4. Punkt, scheint mir, bleibt öfter auf der Strecke. Viele glauben, sich im Alter sehr gut zu kennen und sehen keinen weiteren Handlungsbedarf mehr.  Andere haben sich mit sich selbst („Ich bin halt so!“) und ihren Beziehungen arrangiert, sehen also das Negative, akzeptieren es aber. In beiden Fällen ist jetzt die beste Zeit dafür, sich mit sich selbst, den eigenen Bedürfnissen und den Beziehungen auseinanderzusetzen, denn das braucht man, um die Phase Ruhe & Sein in Würde zu erleben.

Herzlichst
Helga

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